Einführung: Fragen nach der Entstehung einer Spaltfehlbildung
Nach der Geburt eines Kindes mit einer Spaltfehlbildung stellen sich viele Eltern die Frage, wie diese entstanden sein könnte. Häufig sind Mütter besonders von Schuldgefühlen betroffen und fragen sich, ob sie in der Schwangerschaft etwas falsch gemacht haben. Zu diesem Thema, das oft emotional und kontrovers diskutiert wird, möchte ich an dieser Stelle Stellung nehmen.
Die komplexe Entwicklung des Gesichts im Mutterleib
Die Entwicklung des Gesichts im Mutterleib ist ein äußerst komplexer Prozess. Lippe, Nase, Kiefer und Gaumen entstehen durch die Verschmelzung verschiedener „Wülste“ während der frühen Schwangerschaft. Ein kurzes Video auf meiner Facebook-Seite veranschaulicht diesen Vorgang eindrucksvoll.
Die Bildung von Lippe und Kiefer erfolgt zwischen der 5. und 8. Schwangerschaftswoche, die Gaumenentwicklung zwischen der 7. und 11. Woche. Tritt in diesem Zeitraum eine Störung auf, kommt es zu einer unvollständigen Verschmelzung der Wülste, was zu einer Spaltbildung in unterschiedlichem Ausmaß führen kann. Je nach Zeitpunkt der Störung entsteht entweder eine Lippen-Kiefer-Spalte, eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte mit Fehlbildung der inneren und äußeren Nase oder eine isolierte Gaumenfehlbildung.
Schuldgefühle sind unbegründet
Es ist wichtig zu betonen, dass niemand sich deswegen schuldig fühlen muss!
Multifaktorielles Geschehen: Genetik und äußere Einflüsse
In der Humangenetik spricht man von einem multifaktoriellen Geschehen, wenn eine Spaltbildung auftritt. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine genetische Neigung zur Entwicklung einer Spaltbildung vorhanden sein kann, besonders wenn bereits in der Familie Spalten aufgetreten sind. Einige der Gene, die für diese Fehlbildung verantwortlich sind, sind inzwischen bekannt. In manchen Fällen ist die Spaltbildung mit anderen Fehlbildungen kombiniert, wie zum Beispiel beim van-der-Woude-Syndrom, bei dem neben der Spaltbildung auch Unterlippenfisteln auftreten. Diese Fehlbildungen sind tatsächlich vererbbar und können mehrfach innerhalb einer Familie auftreten.
Sonderfälle: Chromosomenschädigungen und weitere Ursachen
Ein Sonderfall sind Spaltbildungen, die im Zusammenhang mit Chromosomenschädigungen entstehen. Die Mehrheit der Spalten tritt jedoch ohne andere Fehlbildungen auf, und die Kinder sind – abgesehen von der Fehlbildung – in der Regel gesund.
Die Rolle von Genen und äußeren Einflüssen
Bei einem multifaktoriellen Geschehen spielen mehrere Gene eine Rolle bei der Entstehung der Spaltbildung. Zusätzlich kommen äußere Einflüsse während der Schwangerschaft hinzu, deren genaue Auswirkung noch nicht vollständig erforscht ist. Es ist oft der Fall, dass die Störung in einer Zeit auftritt, in der die Mutter noch nichts von ihrer Schwangerschaft weiß. Diese äußeren, nicht immer beeinflussbaren Faktoren können das „Fass zum Überlaufen“ bringen, wobei meist mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, bis eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder eine Gaumenspalte entsteht.
Mögliche Einflussfaktoren auf die Entstehung einer Spaltbildung
Die möglichen Einflussfaktoren sind vielfältig und nicht immer vermeidbar. Zu den möglichen Ursachen gehören:
- Infektionskrankheiten in der Frühschwangerschaft
- Spontane Genveränderungen (Genmutationen) unbekannter Ursache
- Regionale Durchblutungsstörungen im Gesichtsbereich
- Durchblutungsstörungen der Plazenta, die zu Nährstoffmangel beim Kind führen können
- Vitaminmangel der Mutter
- Einnahme schädlicher Medikamente (z. B. Contergan in den 1960er Jahren)
Aber auch:
- Übermäßiger Stress der Mutter
- Erhöhte Strahlenbelastung
- Konsum schädlicher Substanzen
Faktoren, die nicht beeinflussbar sind
Es wird deutlich, dass die meisten dieser Faktoren nicht beeinflusst werden können. Einflussnehmende Faktoren sollten jedoch vermieden oder reduziert werden, wenn eine Schwangerschaft geplant wird. Dennoch bleibt jede Schwangerschaft mit einem gewissen Restrisiko verbunden, ein Kind mit besonderen Merkmalen zu bekommen.
Fazit: Es gibt keine allgemeingültige Norm